Nachdem der europäische Gerichtshof in seiner Vorabentscheidung vom 22. September 2022 (C-120/21) entschieden hat, dass die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren für Urlaubsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Mitarbeiter durch die Erfüllung der für den Arbeitgeber geltenden Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt wird, seinen Urlaub zu nehmen, hat nun auch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/29) diese Vorgaben umgesetzt. Es hat festgestellt, dass die Urlaubsansprüche weder am Ende des Kalenderjahres nach § Absatz 3 Satz 1 BurlG noch am Ende des zulässigen Übertragungszeitraumes gemäß § 7 Absatz 3 Satz 3 BurlG verfallen, wenn der Arbeitgeber seiner Hinweis- und Aufforderungsobliegenheit nicht nachgekommen ist und dass die dreijährige Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 198 BGB erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber seine sog. Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat.
Mit unserem Rundschreiben Nr. 5 aus 2022 hatten wir über die Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union berichtet, nach der Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU dahin auszulegen seien, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen, indem er den Arbeitnehmer auf den bestehenden Resturlaub und eine drohende Verjährung hingewiesen hat. In dem streitigen Fall hatte die als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin angestellte Arbeitnehmerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch die weitere Abgeltung von 101 Urlaubstagen gefordert. Hiergegen erhob die Beklagte den Einwand der Verjährung. Nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs tritt der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen.
Das Bundesarbeitsgericht hatte über den Fall nun abschließend zu entscheiden und stellte in seiner aktuellen Entscheidung fest, dass die Vorschriften über die Verjährung grundsätzlich auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch anzuwenden seien. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Absatz 1 BGB beginne die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren jedoch nicht zwangsläufig mit dem Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Die Beklagte konnte daher nicht mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. Den Anspruch auf Abgeltung hat die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist von 3 Jahren geltend gemacht.
In einem weiteren Fall des Bundesarbeitsgerichts ging es nun um den Urlaubsabgeltungsanspruch eines Arbeitnehmers. Auch dieser unterliegt grundsätzlich der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Das BAG hat nun mit Urteil vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 456/20) entschieden, dass die Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruchs eintrete, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten, den Arbeitnehmer auf Verfall und Verjährung hinzuweisen, nachgekommen ist.
Die Beklagte in dem entschiedenen Fall betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger als Ausbildungsleiter, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeitstagen in den Jahren 2010 bis 2015 zu gewähren. Unter dem 19. Oktober 2015 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte. Mit der im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger unter anderem Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.
Die Revision des Klägers hatte beim Bundesarbeitsgerichts Erfolg, soweit er die Beklagte auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 € in Anspruch nahm. Bezogen auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 blieb sie erfolglos.
Das BAG hatte zuvor am 20. Dezember 2022 (Az. 9 AZR 266/20) in dem oben dargestellten Urteil entschieden, dass Urlaubsansprüche verjähren können, die dreijährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Absatz 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Absatz 4 BUrlG abzugelten.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt jedoch seinerseits der Verjährung. Das BAG hat nun entschieden, dass die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch in der Regel am Ende des Jahres beginne, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankomme. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bilde eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableite, ende mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Für die Jahre 2010 bis 2014 begann die Verjährungsfrist allerdings nicht schon mit dem Ende des Jahres zu laufen, in dem das Beschäftigungsverhältnis endete, da zu diesem Zeitpunkt die bisherige Rechtsprechung noch davon ausging, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfallen. Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 6. November 2018 neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, war der Kläger gehalten, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.
Demgegenüber ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2015 verjährt. Schon auf Grundlage der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, abzugelten hatte. Die dreijährige Verjährungsfrist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Der Kläger hat die Klage erst im Jahr 2019 erhoben.
Die Kernaussagen der beiden Urteile lassen sich den bereits vorliegenden Pressemitteilungen entnehmen. Die Entscheidungsgründe sind noch nicht veröffentlicht.
Unsere dringende Empfehlung:
Die Mitwirkungsobliegenheiten gelten nun auch für die Verjährung. Urlaubsansprüche können sich über Jahre ansammeln, wenn man ihnen nicht nachkommt. Wir empfehlen deshalb: Weisen Sie Ihre Mitarbeitenden zweimal jährlich (im ersten und dritten Quartal) auf die individuellen Urlaubsansprüche und den drohenden Verfall hin. Unser Merkblatt und die Musterschreiben „Urlaubsansprüche – Hinweis auf Verfall“ dazu finden Sie in unserem Dokumenten-Center.