BAG, Urteil vom 23.11.2023 (8 AZR 212/22)
Dem persönlichen Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) unterfallen auch Praktikanten, die i.S.v. § 26 BBiG eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben. Die schützenden Verfahrensvorschriften sind jedoch noch nicht während eines noch laufenden Gleichstellungsverfahrens zu beachten.
In dem zugrundeliegenden Fall hatte sich ein zu 40% schwerbehinderter Student bei der beklagten Arbeitgeberin für ein gefördertes berufliches Praktikum beworben. Die Teilnehmenden des Praktikumsprogramms erhielten monatlich einen Förderbetrag in Höhe von 880 € brutto und während der Praxiszeiten eine monatliche Vergütung in Höhe von 1.570 € brutto. Der Bewerber hatte im Vorstellungsgespräch auf seine Behinderung hingewiesen und angegeben, dass er einen Monat zuvor einen Gleichstellungsantrag nach § 2 Abs. 3 SGB IX gestellt habe.
Das Bewerbungsverfahren endete für den Studenten erfolglos. Rund einen Monat nach der Absage seitens des ausschreibenden Praktikumsbetriebs erhielt er einen Bescheid über seine rückwirkende Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten zum Zeitpunkt der Antragstellung – also bereits vor Einreichung seiner Bewerbung.
Daraufhin machte er wegen der Absage bzgl. der Praktikantenstelle eine Entschädigung in Höhe von mindestens 5.000 € nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Verstoßes gegen das Verbot einer behinderungsbedingten Benachteiligung geltend. Die Forderung begründete er damit, dass im Bewerbungsverfahren die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unterblieben sei, obwohl das Unternehmen von seinem Gleichstellungsantrag gewusst habe.
Die nach Zurückweisung der Zahlung erhobene Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.
Arbeitsgericht und LAG sahen keinen ausreichenden Vortrag nach § 22 AGG (Beweislast), aus dem sich Indizien für eine Benachteiligung ergeben würden, die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten ließen. Auch die Revision beim BAG führte zu keinem anderen Ergebnis.
Zur Begründung führt es zunächst aus, dass nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AGG auch Praktikanten, die nach § 26 BBiG eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben in den Anwendungsbereich des AGG fallen. Auch begründe bei schwerbehinderten und diesen gleichgestellten behinderten Menschen der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung.
Ein laufender Gleichstellungsantrag führe aber noch nicht zum Eingreifen der schützenden Verfahrensvorschriften. Nach der Rechtsprechung des 7. Senats des BAG in vergleichbaren Fällen, der sich der 8. Senat anschloss, sei geklärt, dass Arbeitgeber gerade nicht verpflichtet sind, (vorsorglich) die Schwerbehindertenvertretung zu unterrichten und sie nach §§ 164 Abs. 1 S. 4, 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX zu beteiligen, wenn über einen Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden wurde. Dies ergebe sich aus Wortlaut und systematischer Stellung der genannten Vorschriften.
Auch die nach § 151 II 2 SGB IX eintretende Rückwirkung der Gleichstellung auf den Tag des Antragseingangs bewirke keine vorsorgliche Beteiligungsverpflichtung des Arbeitgebers. Diese Rückwirkung werde erst durch den stattgebenden Gleichstellungsbescheid begründet, weshalb sie im Laufe des Bewerbungsverfahrens noch nicht eingetreten sei. Dafür spreche auch die Regelung zur Einschränkung des Sonderkündigungsschutzes in § 173 Abs. 3 SGB IX, durch die der Gesetzgeber die Problematik eines laufenden Anerkennungs- bzw. Gleichstellungsverfahrens erkannt habe und hierfür eine Sonderregelung habe treffen wollen.