LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.11.2024, Az. 10 Sa 13/24
Will eine potenzielle Kundin nicht von einer weiblichen Person (Arbeitnehmerin), sondern von einem männlichen Berater betreut werden, hat die Arbeitgeberin im Rahmen ihrer Reaktionsmöglichkeiten grundsätzlich den Schutzpflichten nach § 12 Abs. 4 AGG nachzukommen. Tut sie dies nicht, kann der Entzug der potenziellen Kundin aus der Betreuungszuständigkeit der Arbeitnehmerin eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG durch die Arbeitgeberin darstellen, die einen Entschädigungsanspruch auslöst.
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen. Eine bei der Beklagten registrierte Bauinteressentin war der klagenden Arbeitnehmerin als Beraterin zugeordnet. Im März 2023 erhielt die Klägerin von ihrem Vorgesetzten, dem Regionalleiter der Beklagten, die Information, dass die Bauinteressentin ihm telefonisch mitgeteilt habe, keine Frau als Beraterin zu wollen. Daraufhin wurde der Regionalleiter als Kundenbetreuer der Bauinteressentin eingesetzt. Die Klägerin hat Schadensersatz und Entschädigung gemäß § 15 Abs. 1 AGG und § 15 Abs. 2 AGG geltend gemacht. Die Entschädigung bezifferte sie in Höhe von sechs Bruttomonatsgehältern und damit auf 84.300,00 Euro. Einen immateriellen Schadensersatz wies die Beklagte zurück, bot aber an, im Falle eines Vertragsabschlusses mit der Bauinteressentin einen Schadensersatzanspruch der Klägerin in Höhe der entgangenen Provision an die Klägerin zu zahlen. Das Arbeitsgericht hat die anschließende Klage auf Zahlung einer Entschädigung zurückgewiesen. Die Berufung hat zu einem geringen Teil Erfolg.
Das LAG Baden-Württemberg hat entscheiden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von EUR 1.500,00 zusteht. Die Beklagte hat die Klägerin durch den Entzug der Zuständigkeit für die Interessentin unmittelbar wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Zwar ist die primäre Diskriminierung von der Bauinteressentin ausgegangen. Die Beklagte hätte aber im Rahmen ihrer Reaktionsmöglichkeiten die Schutzpflichten aus § 12 Abs. 4 AGG beachten müssen. § 12 Abs. 4 AGG bestimmt, dass der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen hat, wenn Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt werden. Der Regionalleiter hätte nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg auf die Bauinteressentin zugehen können und versuchen können, diese zu überzeugen, dass es sich bei der Klägerin um eine sehr gute Betreuerin handelt. Er hätte sich auch nach den Gründen für die Vorbehalte der Bauinteressentin gerade gegenüber Frauen erkundigen und so eruieren können, ob gerade die Klägerin aufgrund ihrer menschlichen und/oder fachlichen Qualifikation besonders gut geeignet gewesen wäre, die Ansprüche und Wünsche der Bauinteressentin zu erfüllen. Stattdessen hatte er jedoch deren Haltung, die zu einer Benachteiligung der Klägerin geführt hat, ungeprüft übernommen. Letztendlich hält das LAG Baden-Württemberg hier allerdings eine Entschädigung in Höhe von EUR 1.500,00 für angemessen. Eine Wiederholungsgefahr ist nicht wahrscheinlich.
Unerheblich bei der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes war hier die Bereitschaft der Beklagten, die entgangene Provision als Schadenersatz zu zahlen. Der Arbeitgeber ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des AGG verpflichtet, den hierdurch entstandenen Vermögensschaden zu ersetzen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Danach tritt die Verpflichtung des Arbeitgebers, den immateriellen Schaden auszugleichen, als selbständige Verpflichtung neben seine Pflicht zum materiellen Schadensersatz.