„Unsere Stimme muss permanenter zu hören sein“
Mehr als zwei Jahrzehnte Verbandsgeschichte an einem Tisch: Im Haus der Wirtschaft trafen sich die beiden ehemaligen AV-Präsidenten Eberhard Manzke (2002 bis 2007) und Heiko Westermann (2007 bis 2019) gemeinsam mit Amtsinhaber Volker Meyer zum Interview. Ein Gespräch über bisherige Erfolge und über die Frage, wie der Verband auch in Zukunft attraktiv bleiben kann.
Frage: Vor 120 Jahren wurde der Arbeitgeberverband gegründet. Damals ging es zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ziemlich rau zu, es kam immer wieder zu Gewalt. Heutzutage schwer vorstellbar, oder?
Volker Meyer: Das kann man sich heute nicht ausmalen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hatten sich stark zerstritten, teilweise galt das Faustrecht. Der damalige Geschäftsführer soll sogar nachts durch die Gassen von Lüneburg patrouilliert sein, um mit einem Schlagstock bewaffnet für die Sicherheit der Geschäfte zu sorgen.
Frage: Zwischenzeitlich, in der NS-Zeit, wurde der Arbeitgeberverband sogar aufgelöst. Erst nach dem Krieg durfte er sich wieder neu gründen. Sicherlich nicht ganz leicht, oder?
Eberhard Manzke: Ja, die Engländer gestatteten damals zunächst nur die Neugründung der von den Nazis ebenfalls verbotenen Gewerkschaften. Und im zweiten Schritt waren es dann namhafte Lüneburger, die sich zusammengetan haben, um auch die Arbeitgeberseite wieder zu vertreten. Es war zunächst ein kleiner Kreis.
Frage: Dieses maximal Konfrontative aus der Vergangenheit ist also vorbei. Heutzutage überwiegt die wechselseitige Abhängigkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Beide haben Wohlstand und sozialen Frieden als Ziel. Ist dieser Eindruck richtig?
Heiko Westermann: Natürlich haben sich die Dinge zum Besseren gewendet. Allerdings ist mein Eindruck, dass es zwischenzeitlich auch schon Phasen gab, in denen die Parteien viel mehr aufeinander zugegangen sind als heute. Wir haben damals immer Wege gefunden, die für beide Seiten annehmbar waren.
Frage: Was sind denn – abgesehen von den Konflikten mit der Arbeitnehmerseite – aktuell die größten Themen und Herausforderungen des Arbeitgeberverbands Lüneburg-Nordostniedersachsen? Wie sieht es beispielsweise mit dem Fachkräftemangel aus?
Meyer: Das ist natürlich unser Hauptthema heute. Wir wollen innovative Produkte entwickeln, wir wollen die Energiewende vorantreiben. Und dafür brauchen wir viele Arbeitskräfte. Wir müssen also auf Personalentwicklung und Personalrekrutierung setzen – und dies nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland.
Frage: Das AV-Projekt SchuleWirtschaft darf man in dieser Hinsicht ja als wichtige Brücke verstehen, oder? Hier werden Schüler schon früh für die Themen der Wirtschaft begeistert.
Manzke: Ja, das hat schon vor meiner Zeit als Präsident begonnen, da waren wir wirklich vorausschauend. Nach wie vor wird die Jugend nicht genügend an die Probleme der Wirtschaft herange-führt. In diese Lücke gehen wir rein. Das ist ja, wenn Sie so wollen, eine private Neben- und Ergänzungsausbildung.
Meyer: Beruf ist nicht Pflicht, sondern Beruf sollte Freude machen. Und dies kann man nur durch Gespräche erfahren, wie wir sie im Rahmen von SchuleWirtschaft führen. Es ist ein echter Erfolg, dass die jungen Leute in die Betriebe reinschnuppern können und dafür zwei Wochen freigestellt werden.
Frage: Lassen Sie uns über die politischen Rahmenbedingungen für Unternehmen reden. Die Vorgaben werden ja immer komplexer. Schon 2004, auf der 100-Jahr-Feier, war die bisweilen lähmende Regelungswut ein wichtiger Teil der Festrede. Das ist seitdem nicht wirklich weniger geworden, wenn man nur mal an Themen wie Datenschutzgrundverordnung, Mindestlohn oder Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz denkt …
Westermann: Wir leiden vor allem darunter, dass wir ein föderales System haben. Das ist für die Politik ganz gut, weil sich dadurch immer wieder verschiedene politische Konstellationen ergeben können. Aber übergeordnet ist das ein Wahnsinn. Zum Beispiel ist serielles Bauen in Deutschland nicht möglich. Warum? Weil jedes Bundesland andere Gesetze hat.
Manzke: In der Rückschau muss man vielleicht sagen, dass die Welt vor 20 Jahren, als ich diese Rede gehalten habe, noch ganz in Ordnung war. Das hätte ich damals nicht für möglich gehalten, dass da noch eine Schippe draufgelegt wird. So geht es nicht weiter!
Meyer: Früher waren die Mitarbeiter in den Behörden auch viel eher dazu bereit, mal Entscheidungen zu treffen. Auch das ist ein wichtiger Teil der Wahrheit. Und wenn gerade hier in der Region die zuständigen Beamten eine gewisse Entscheidungsfreiheit hätten, dann würden wir vielleicht gar nicht so viel über dieses Thema sprechen.
Frage: Muss der Arbeitgeberverband in Zukunft vielleicht auch lauter werden, um sich für seine Themen Gehör zu verschaffen? Wir leben heutzutage ja in einer Welt, in der andere Interessensgruppen ihre Forderungen bisweilen vehement vorbringen, beispielsweise Landwirte oder Klimaschützer. Kann man von denen lernen?
Westermann: Das ist sicherlich ein Weg, aber ich denke es ist schwierig, die einzelnen Unternehmen dafür zu mobilisieren.
Meyer: Unsere Stimme muss vor allem in Berlin gehört werden. Vielleicht gar nicht mal lauter, sondern eher permanenter.
Frage: Bei all den öffentlich sichtbaren Spannungen und Konflikten: Ist das Zusammenhalten der Gesellschaft, also das Vermeiden der aktuell so greifbaren Spaltung, eigentlich auch eine Aufgabe des Arbeitgeberverbands?
Meyer: Die Extreme werden stärker, und dadurch nimmt auch die Konfrontation zu. In unseren Unternehmen erleben wir Tag für Tag, dass das aber gar nicht sein muss. Dort gibt es eine enge Zusammenarbeit über alle vermeintlichen gesellschaftlichen Grenzen hinweg.
Frage: Bereiten Ihnen die abschottenden Tendenzen mancher Parteien Sorgen?
Meyer: Ja, sogar große. Gerade die Parteien, die die EU in Frage stellen. Deutschland ist der Hauptprofiteur der EU und es ist sehr wichtig, dass diese Organisation erhalten bleibt.
Westermann: Wir sind ja keine Dienstleistungsgesellschaft, sondern eine gewerbliche und produzierende Exportwirtschaft. Das heißt, wir sind darauf angewiesen, dass die Grenzen offen sind.
Frage: Was sind angesichts dieser Herausforderungen die Entwicklungsfelder des Arbeitgeberverbands. Welche Themen müssen abgedeckt werden, um auch in Zukunft für die Mitglieder relevant zu bleiben?
Meyer: Vielleicht nur ein kleines Beispiel: Ein Thema haben wir noch gar nicht angesprochen, das ist die Künstliche Intelligenz. Jedes einzelne Unternehmen kann sich gar nicht so intensiv damit beschäftigen und das auch nicht einfach in großem Umfang implementieren. Vielleicht werden wir hier perspektivisch eine Art Kompetenzzentrum für unsere Mitgliedsunternehmen aufbauen, denn an dem Thema kommt niemand mehr vorbei.
Frage: Herr Manzke, Herr Manzke, Sie waren Präsident, als der Verband 2004 seine 100-Jahr-Feier begangen hat. Wenn wir mal in die Zukunft schauen, auf die 150-Jahr-Feier in 30 Jahren, was wäre da Ihr Wunsch: Über welche Themen sollte sich der Arbeitgeberverband dann unterhalten?
Manzke: Auf jeden Fall wäre es schön, wenn wir dann echte Erfolge in Sachen Bürokratieabbau feiern könnten. Außerdem würde ich mich freuen, wenn der Arbeitgeberverband weitere Bereiche in der Beratung anbieten würde. Und was ich mir ganz unabhängig von konkreten Themen wünschen würde, ist, dass die Menschen, die dann das Glas erheben, sagen, dass wir ein toller Verband sind.
Das komplette Gespräch können Sie hier hören.