Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jetzt in einem Urteil vom 26.04.2022 (9 AZR 367/21) festgestellt, dass der Anspruch von schwerbehinderten Arbeitnehmern auf Zusatzurlaub gemäß § 208 SGB IX auch dann ohne vorherige Erfüllung der Hinweispflichten (Mitwirkungsobliegenheiten) durch den Arbeitgeber erlöschen kann, wenn der Arbeitnehmer einen Antrag auf Anerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt hat, ohne seinen Arbeitgeber darüber zu unterrichten und ohne dass die Schwerbehinderung offensichtlich ist.
In dem vom BAG entschiedenen Fall haben die Parteien über den Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus den Jahren 2017 und 2018 gestritten. Der langjährig bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigte Kläger hat am 11.08.2017 einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt, der durch Bescheid vom 24.11.2017 zunächst abgelehnt wurde. Der Kläger hatte seine Arbeitgeberin über die Antragsstellung und über die Ablehnung des Antrags informiert. Erst im März 2019 erfuhr die Beklagte jedoch, dass der Kläger gegen den ablehnenden Bescheid mit Erfolg das Widerspruchs- und Klageverfahren durchgeführt hatte. Er wurde rückwirkend zum 11.08.2017 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Mit seiner Klage machte der Kläger nunmehr seinen Zusatzurlaub gemäß § 208 SGB IX für die Jahre 2017 und 2018 gegenüber der Arbeitgeberin geltend.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Vor dem BAG hatte die Revision des Klägers teilweise Erfolg, nämlich hinsichtlich des Zusatzurlaubs für das Jahr 2017. Für das Jahr 2018 hat das BAG den Anspruch des Klägers abgelehnt.
Nach Ansicht des BAG ist der Zusatzurlaub für das Jahr 2018 nach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verfallen. Für den Verfall von Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX gelten – so das BAG – dieselben Voraussetzungen wie für den Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs. Hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs gilt, dass der Arbeitgeber die Initiativlast und damit eine Mitwirkungsobliegenheit bei der Verwirklichung des Anspruchs auf den Urlaub obliegt. Das heißt, der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer auf den verbleibenden Resturlaub und dessen Verfall zum Ende des Urlaubsjahres hinweisen. Diese Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers ist nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BAG Voraussetzung für das Eingreifen der Verfallsregelungen.
Die Befristung des Zusatzurlaubs kann nach Auffassung des BAG aber dann nicht von den Hinweispflichten (Mitwirkungsobliegenheiten) des Arbeitgebers abhängig sein, wenn es dem Arbeitgeber unmöglich ist, den Arbeitnehmer durch seine Mitwirkung in die Lage zu versetzen, seinen Zusatzurlaub zu nehmen. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt hat, ohne seinen Arbeitgeber darüber zu informieren und ohne, dass die Schwerbehinderung offensichtlich ist. Besonderheiten gelten in Bezug auf das behördliche Anerkennungsverfahren dann, wenn ein Antrag zunächst zurückgewiesen und später in Folge eingelegter Rechtsmittel doch positiv beschieden wird. Die Hinweispflichten (Mitwirkungsobliegenheiten) des Arbeitgebers bestehen in diesen Fällen zunächst nur bis zur ablehnenden Behördenentscheidung, denn danach obliegt es wiederum dem Arbeitnehmer, seinen Arbeitgeber über das weitere Verfahren zu informieren. Fehlt eine solche weitere Mitteilung des Arbeitnehmers, verfällt auch sein Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG.