EuGH, Entscheidung vom 13. Juli 2023, Az. C-134/22
Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte mehrere Entscheidungen ausgesetzt, in denen über die kündigungsrechtlichen Folgen unterschiedlicher Fehler bei einer Massenentlassungsanzeige gestritten wird. Über ein Verfahren hatten wir in unserem letzten Rundschreiben bereits berichtet.
Der Senat wollte vor einer Entscheidung über die Sanktionen bei Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG die Entscheidung des EuGH im Verfahren – C-134/22 – abwarten. Diese Entscheidung ist zwischenzeitlich am 13. Juli 2023 ergangen (Pressemitteilung des BAG vom 30. August 2023).
Der EuGH hat entschieden, dass zumindest der Verstoß gegen die Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG an die Agentur für Arbeit nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Die Unwirksamkeit der Kündigung sei als zwingende Sanktion der Richtlinie also gerade nicht gewollt, sondern den Mitgliedsstaaten selbst überlassen. Der EuGH positionierte sich damit klar gegen den individualschützenden Charakter einer reinen Verwaltungsvorschrift in der Massenentlassungs-Richtlinie.
Die Entscheidung des EuGH ist leider nicht umfassend ausgefallen. Der EuGH stellt in der Begründung, warum im konkreten Fall kein Individualrechtsschutz in der Richtlinie vermittelt wird, auf den betroffenen Verfahrensabschnitt (Konsultation und Information) ab, in dem der Fehler entstanden ist. In diesem Verfahrensabschnitt werde der Schutz kollektiv durch die Arbeitnehmervertretung ausgeübt, die Entlassungen seien nur geplant und die Behörde solle sich daher in diesem Stadium nicht mit der Situation des einzelnen Arbeitnehmers befassen, sondern nur Maßnahmen in Bezug auf die kommende Massenentlassungsanzeige vorbereiten. Ob Kündigungen grundsätzlich noch wegen eines Verstoßes gegen die Massenentlassungsvorschriften unwirksam sein können, bleibt aber offen.
Der Aussetzungsgrund beim BAG ist daher entfallen. Die ausgesetzten Verfahren werden am 14. Dezember 2023 fortgesetzt.