Verfall von Urlaubsansprüchen: Konkrete Aufforderungspflicht des Arbeitgebers auch für vorangegangene Kalenderjahre

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Der Urlaubsanspruch eines Arbeitsnehmers erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat. Diese Initiativlast des Arbeitgebers bezieht sich nicht nur auf das laufende Kalenderjahr, sondern auch auf den Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren.

In einem Urteil vom 09.04.2019 (4 SA 242/18) hat sich das Landesarbeitsgericht Köln mit der Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 06.11.2018 (C-684/16) auseinandergesetzt. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:

Der Kläger war vom 01.09.2012 bis 31.03.2017 als Bote bei dem Beklagten beschäftigt. Die Parteien hatten hinsichtlich des Urlaubs im Arbeitsvertrag eine Regelung getroffen, wonach der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub auf eigenen Wunsch in Form einer wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung vornehmen konnte. Statt der bezahlten 30 Stundenwoche arbeitete der Arbeitnehmer somit nur 27,5 Stunden pro Woche. Die Gewährung darüber hinausgehenden Urlaubs hatte der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses nicht verlangt.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses begehrte der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber einen finanziellen Ausgleich für in den Jahren 2014, 2015 und 2016 nicht gewährten Urlaub. Er war der Ansicht die Regelung zur Arbeitszeitverkürzung stelle einen Verstoß gegen das Bundesurlaubsgesetz dar. In Form einer Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden pro Woche könne der Erholungszweck des gesetzlich zu gewährenden Urlaubs nicht erfüllt werden. Da der beklagte Arbeitgeber ihm den Urlaub durch die Einführung eines Umgehungstatbestandes verweigert habe, schulde er ihm Schadensersatz in Form der Gewährung von Urlaubsabgeltung in Höhe von 4.536,00 €. Nachdem das Arbeitsgericht die Klage im Hinblick auf Urlaub aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 abgewiesen hatte, hob das Landesarbeitsgericht Köln auf die Berufung des Klägers die Entscheidung auf und gab der Klage weitestgehend statt. Das LAG merkt an, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten gemäß § 7 Abs. 4 B UrlG Anspruch auf Abgeltung des ihm für die Jahre 2014, 2015 und 2016 zustehenden gesetzlichen Urlaubs im Umfang von 20 Tagen pro Jahr und damit auf Zahlung von insgesamt 3.600,00 € habe.

Eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden bei einer vereinbarten 30 Stundenwoche stelle keinen Erholungsurlaub im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen dar. Dies ergebe sich bereits aus § 3 BUrlG, der den Urlaubsanspruch in (Werk-) Tagen berechnet. Urlaub könne daher nicht stundenweise berechnet und regelmäßig auch nicht stundenweise gewährt werden. Auch die Befreiung an Teilen eines Tages (halber Tag, viertel Tag) sei zu Urlaubszwecken nicht statthaft, solange der Arbeitnehmer noch wenigstens Anspruch auf einen Tag Urlaub habe. Auch der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG, wonach Urlaub grundsätzlich zusammenhängend zu gewähren ist, sei zu entnehmen, dass die in dem Arbeitsvertrag vorgesehene Arbeitsverkürzung den Anspruch auf den gesetzlichen Erholungsurlaub nicht ersetzen könne. Der mit § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer die Wiederherstellung und Auffrischung der Arbeitskraft zu ermöglichen, könne durch die wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden auch durch grundsätzliche Arbeitsbefreiung an Samstagen nicht erfüllt werden.

Das LAG führt ferner aus, dass die Urlaubsansprüche des Klägers auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen seien. Unter Berücksichtigung des europäischen Rechts verfalle der Urlaub eines Arbeitnehmers in der Regel nämlich nur, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor konkret aufgefordert habe, den Urlaub zu nehmen und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen habe, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraumes erlösche. Dem Arbeitgeber obliege die Initiativlast, im laufenden Kalenderjahr den Arbeitnehmer konkret aufzufordern, den Urlaub zu nehmen. Diese Obliegenheit des Arbeitgebers beziehe sich auch auf den Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren.