Die Vorlage des Einlieferungs-bzw. Auslieferungsbeleges eines Einwurf-Einschreibens begründet keinen Anscheinsbeweis für den Zugang.
In einem Urteil vom 19.03.2019 (7 Ca 89/18) hat sich das Arbeitsgericht Reutlingen mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit bei einer Kündigung durch Einwurf-Einschreiben ein voller Beweis für den Zugang des Einwurf-Einschreibens nach § 418 ZPO geführt werden kann. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:
Der Kläger war bei der Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. Der Kläger hatte sich krankgemeldet und war in Folge dessen etwa 6 Wochen arbeitsunfähig. 2 Tage nach seiner Abwesenheit erhielt er von seinem Vorgesetzten eine WhatsApp, in welcher dieser dem Kläger mitteilte, dass die Geschäftsleitung die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in der Probezeit ausgesprochen habe. Einige Wochen zuvor hatte der Kläger der Beklagten seine neue Adresse mitgeteilt. Diese sendete die Kündigung jedoch an die alte Adresse des Klägers. Zwischen den Parteien bestand fortan Streit darüber, ob das Kündigungsschreiben dem Kläger wirksam zugegangen ist. Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weiterhin fortbesteht. Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg. Das Arbeitsgericht merkt an, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten nicht beendet worden sei. Diese Kündigung sei dem Kläger nicht gemäß § 130 Abs. 1 BGB zugegangen. Eine abgegebene Willenserklärung unter Abwesenden werde in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugehe. Darlegungs- und beweisbelastet für den Zugang einer Kündigung sei der Arbeitgeber. Die Beklagte wählte die Übermittlungsform des sogenannten Einwurf-Einschreibens.
Das Gericht führt aus, dass ein voller Beweis des Zugangs des Einwurf-Einschreibens gemäß § 418 ZPO nicht geführt werden könne, da die Deutsche Post AG als AG geführt wird und ihre Mitarbeiter keine öffentlichen Urkunden im Sinne von § 418 ZPO ausstellen können. Allein durch die Vorlage des Einlieferungs- und des Auslieferungsbeleges eines Einwurf-Einschreibens werde kein Anscheinsbeweis für den Zugang der Sendung begründet. Der Zugang einer Sendung zu dem in einem Auslieferungsbeleg dokumentierten Zeitpunkt sei kein derart typischer Geschehensablauf, dass er einen Anscheinsbeweis begründen könne. Bei Postzustellungen komme es nicht selten zu Fehlleistungen, sodass häufig Unklarheit darüber bestehe, ob diese tatsächlich wie dokumentiert ausgeführt wurden. Die Annahme eines Anscheinsbeweises würde einer angemessenen Verteilung des mit der Auswahl einer Zustellungsart verbundenen Risikos widersprechen. Der Empfänger einer Sendung könne insbesondere den Nachweis, dass er ein Schreiben nicht erhalten habe, in der Regel nicht führen, weil es sich hierbei um eine negative Tatsache handle. Es gebe jedoch keine nachvollziehbaren Gründe, das Risiko des Zugangsnachweises einer Sendung mit der Annahme eines Anscheinsbeweises im Ergebnis auf den Sendungsempfänger zu übertragen, zumal dieser keinen Einfluss auf die Wahl der Zustellungsart habe. Mithin könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Kündigung dem Kläger zugegangen sei.
An dieser Stelle ist deshalb noch einmal die dringende Empfehlung auszusprechen, Kündigungen (insbesondere fristlose Kündigungen) immer persönlich auszuhändigen oder aber durch einen Boten überbringen zu lassen, der die Übergabe bzw. den Einwurf der Kündigung in den Briefkasten des Arbeitnehmers bezeugen kann.