Warum sich die sogenannte „Lehmschicht“ mit neuen Arbeitsweisen schwer tut.
Was hat Lehm eigentlich mit Führung zu tun? Und warum wird die mittlere Führungsebene in Unternehmen auch gerne als „Lehmschicht“ bezeichnet?
Wenn wir uns das Bild in mittelständischen Unternehmen anschauen, sehen wir oft noch ein starr organisiertes System, das auf klare Hierarchien setzt. Oben ist die Unternehmensspitze, dann kommt eine etwas breitere und große Mittelschicht (die sogenannte „Lehmschicht“) und unten dann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Den Führungskräften des mittleren Managements ist daran gelegen, möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu führen, ihr Wissen und ihre Macht zu horten und möglichst gut dazustehen auch im Vergleich mit den anderen. Sie fühlen sich in ihrer Kultur grundsätzlich wohl, scheuen eher das Risiko und kommen alle gut miteinander aus. Entscheidungen werden oft nach oben verlagert und gar nicht selbst getroffen.
Doch wie setze ich in einem solchen System neue Arbeitsweisen um? Wo bleibt die Innovationskraft?
Oft heißt es in diesem Kontext: Die Unternehmensleitung hat erkannt, dass wir neue innovative Wege gehen müssen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dafür und wollen loslegen, aber die mittlere Managementebene bremst.
Doch ist das wirklich so? Oder woran liegt es, dass sich die „Lehmschicht“ so schwertut?
Um diese Frage differenziert zu beantworten, muss man sicher die (oft noch) bestehenden Strukturen in Unternehmen anschauen:
Oben agiert die Unternehmensspitze. Sie erarbeiten Visionen, Missionen und Werte, entscheiden über die strategische Ausrichtung und gibt die als relevant erachteten Themen an die Organisation weiter. Sie gibt die Richtung vor, ist aber nicht Ausführende. Meist ist sie Innovation, Digitalisierung und Wandel gegenüber wirklich aufgeschlossen und erkennt die großen Herausforderungen unserer Zeit. Sie will Veränderung leben.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingegen bekommen eine neue Richtung oft erst zeitverzögert mit. Meist freuen sie sich über neue innovative Projekte und sind auch gerne bereit, mitzumachen und sich einzubringen. Sie können durchaus Treiber von Innovationen werden und hochmotiviert ans Werk gehen. Es entsteht die sogenannte Bottom-up-Bewegung. Von unten steigt also der (Veränderungs-) Druck auf die mittlere Führungsebene.
Das mittlere Management ist also in einer denkbar undankbaren Sandwich-Position. Die veränderungsbereite Unternehmensspitze über sich und die treibenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unten. Oft bekommt es den meisten Druck zu spüren, hat aber die schwierigste Position da es oft noch an „alten“ Kennzahlen gemessen wird, gleichzeitig aber Innovation fördern und neuen Ideen aufgeschlossen gegenüberstehen soll. Ein Spagat also, der schwer zu bewältigen ist. Oftmals wird das mittlere Management als der größte „Blocker“ von Veränderung in Organisationen hingestellt. Aber tut man ihm damit nicht Unrecht?
In den Beratungen erlebe ich in der mittleren Managementebene die größten Zweifel und Ängste, wenn es um Veränderungen wie z.B. den Abbau von Kontrolle zugunsten von Vertrauen geht. Viele Bereichs- und Abteilungsleitungen stehen deshalb den neuen Arbeitsweisen skeptisch gegenüber oder verzögern diese. Sie haben weiterhin die Tendenz zum Absichern und halten an Prozessen und Kennzahlen fest.
Oft fehlt es aber genau an dieser Stelle an Vertrauensaufbau, der Vermittlung des Veränderungssinns und dem gemeinsamen Gestalten und Umsetzen der Transformation.
Wir kennen alle folgendes Szenario:
Die Geschäftsleitung erkennt, dass sich die Führungskriterien ändern müssen. Wir leben in der sogenannten VUCA Welt und es ist schließlich überall zu hören und zu lesen, dass die Vorhersehbarkeit von Entwicklungen abnimmt, dafür die Veränderungsgeschwindigkeit immens zugenommen hat. Lange Entscheidungswege behindern das Weiterkommen.
„Wir müssen uns von langen Entscheidungswegen und starren Hierarchien verabschieden und den Mitarbeitenden mehr Verantwortung übertragen.“
Es wird erarbeitet, wie man die Veränderung angehen kann. Die Geschäftsleitung ist sich mittlerweile sicher, dass sie mit dieser Entscheidung auf dem richtigen Weg ist und hat das auch in dieser Form an die Führungskräfte und Mitarbeitenden kommuniziert.
Was passiert jetzt?
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den unteren Hierarchieebenen jubeln. Endlich mehr Verantwortung und ihren eigenen Entscheidungsspielraum. Das wollten sie schon immer.
Die Führungskräfte des mittleren Managements sind verunsichert. Was genau bedeutet das für mich? Werde ich dann überhaupt noch gebraucht? Was habe ich noch zu entscheiden, wenn jeder meiner Mitarbeitenden seinen eigenen Spielraum hat? Und wie definiere ich die jeweiligen Spielräume meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Die Geschäftsleitung ist zufrieden, denn sie hat gehandelt. Sie versteht nicht, warum die Führungskräfte der mittleren Ebene nicht begeistert mitziehen. Oben und unten ist man der klaren Überzeugung, dass mehr Verantwortung verteilt wird.
Wenn wir uns das mittlere Management als „Lehmschicht“ nun aber einmal bildlich vorstellen wird klar, dass das Wasser, das oben reingekippt wird, sich nur ganz langsam seinen Weg durch den Lehm nach unten bahnen kann. Die mittlere Ebene ist verunsichert, kennt ihre neue Rolle nicht und hat Angst plötzlich über-flüssig zu sein. Der Veränderungsprozess wird nicht gelingen, wenn nicht kontinuierlich Löcher in die Lehmschicht gebohrt werden, damit das Wasser von oben nach unten durchfließen kann.
Das „Bohren der Löcher“ in die Lehmschicht ist dabei ein kontinuierlicher Prozess. Wichtig ist ein Vorleben der obersten Führung, das mit der nötigen Ernsthaftigkeit verfolgt werden muss. Sie darf nicht mehr zulassen, dass das mittlere Management Entscheidungen nach oben delegiert oder gar die Probleme der Mitarbeitenden „als Chefsache“ selber lösen. Stattdessen muss konsequent nach unten zurückgegeben werden.
Die Führungskräfte brauchen etwas, worauf sie vertrauen können, damit am Ende die gewünschte Veränderung gelingen kann. Sie müssen verstehen, dass mehr Verantwortung und neue Entscheidungsspielräume für sie und die Mitarbeitenden gleichermaßen gelten.
Ein häufiger Fehler ist, dass selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Führungskräfte da schon mitgehen werden. Aber gerade sie haben den schwierigsten Part in dem Veränderungsprozess und brauchen Zeit und Begleitung für die Umsetzung.
Es bedarf vieler konstruktiver Gespräche und ein offener Umgang mit Ängsten und Sorgen. Gleichzeitig muss die Ernsthaftigkeit der Veränderung klar kommuniziert und gelebt werden, um alle zugehörigen Parteien bei der Transformation mitzunehmen und langfristig an Board zu halten.