Eine Betriebsvereinbarung ist unwirksam, wenn es keinen entsprechenden Beschluss des Betriebsrates gibt. Eine vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer solchen Betriebsvereinbarung kann dem Betriebsrat nicht nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden. Der Arbeitgeber läuft deshalb Gefahr, die in einer solchen Betriebsvereinbarung festgelegten Regelungen gegenüber den Arbeitnehmern nicht durchsetzen zu können.
In seinem Urteil vom 08.02.2022 (1 AZR 233/21) hat sich das Bundesarbeitsgericht mit der Wirksamkeit einer vom Betriebsratsvorsitzenden ohne entsprechenden Beschluss des Betriebsrates unterzeichneten Betriebsvereinbarung auseinandergesetzt. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:
Die Beklagte, ein Unternehmen der Stahlindustrie, vergütete den Kläger auf der Basis von zwei Betriebsvereinbarungen, die Entlohnungssysteme enthalten. Diese Betriebsvereinbarungen waren von der Arbeitgeberin und dem Vorsitzenden des Betriebsrates am 08.06.2017 unterzeichnet worden. Sie lösen nach Auffassung des Unternehmens eine Betriebsvereinbarung zum selben Thema ab, die am 31.05.1967 von einer ihrer Rechtsvorgängerinnen abgeschlossen worden war und zu einer geringeren Vergütung des Klägers im Vergleich zu früheren Betriebsvereinbarungen führt. Der Kläger meint, die Betriebsvereinbarungen aus dem Jahr 2017 hätten die frühere Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1967 nicht abgelöst, da der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung durch den Betriebsratsvorsitzenden kein wirksamer Betriebsratsbeschluss zugrunde gelegen habe. Erstinstanzlich beantragte er deshalb die Zahlung der monatlichen Differenzvergütung für die Monate Januar 2018 bis Februar 2019 sowie die Feststellung, dass ihm eine Vergütung auf der Basis der Regelungen der Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1967 zusteht. Das BAG hatte am Ende nach einem erstinstanzlichen Teilurteil nur über den Feststellungsantrag zu entscheiden.
Im Ergebnis hat das BAG entschieden, dass das Teilurteil aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht zulässig war und aus diesem Grund den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Dennoch hat das Bundesarbeitsgericht ausführlich zu der bisher umstrittenen Frage Stellung genommen, ob eine vom Betriebsratsvorsitzenden ohne Beschluss des Betriebsrates abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung dem Betriebsrat nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden kann. Ohne auf die Wirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses näher einzugehen, hat das Bundesarbeitsgericht diese Zurechnung im Wege der Anscheinsvollmacht verneint.
Dazu hat das BAG ausgeführt, dass eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden demnach unwirksam ist und keine Rechtswirkung entfaltet. Folglich ist dann auch eine vom Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnete Betriebsvereinbarung unwirksam. Das BAG erkennt in seiner Entscheidung an, dass dies für den Arbeitgeber unabsehbare finanzielle Folgen haben kann, wenn die Betriebsvereinbarung Regelungen zu seinen Gunsten enthält. Das BAG zeigt deshalb in seiner Entscheidung zwei Möglichkeiten auf, wie derartige unwirksame Betriebsvereinbarungen geheilt werden können.
Zum einen kann der Betriebsrat durch einen ordnungsgemäßen Beschluss die von dem Betriebsratsvorsitzenden abgegebene unwirksame Erklärung nachträglich genehmigen, da diese entsprechend § 177 Abs. 1 BGB zunächst nur schwebend unwirksam ist. Die Rückbeziehung der Genehmigungswirkung hat nach § 184 Abs. 1 BGB zur Folge, dass die vom Betriebsratsvorsitzenden ohne vorherigen Beschluss des Gremiums unterschriebene Betriebsvereinbarung so zu behandeln ist, als sei sie bereits beim Abschluss wirksam geworden. Die Befugnis des Betriebsrats, eine in seinem Namen durch den Vorsitzenden geschlossene Betriebsvereinbarung im Nachhinein zu genehmigen, ist außerdem nicht befristet. Daher kann die Genehmigung in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich unbegrenzt erteilt werden.
Zum anderen hat der Arbeitgeber nach § 77 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 BetrVG das Recht, zeitnah vom Betriebsrat zu verlangen, ihm eine den inhaltlichen und formellen Maßgaben des § 34 Abs. 2 BetrVG entsprechende Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen, aus der sich die Beschlussfassung des Betriebsrates ergibt, die für die Wirksamkeit der vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärung erforderlich ist. So kann er feststellen, ob ein auf den Abschluss der Betriebsvereinbarung bezogener Beschluss des Betriebsrates gefasst wurde.