BAG, Urteil vom 18.01.2023, AZ.5 AZR 93/22
Die Abstufung der Darlegungslast beim Streit über das Vorliegen einer neuen Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 EFZG, wonach der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen hat, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden, begegnet weder unions- noch verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem steht nicht entgegen, dass der hiernach erforderliche Vortrag im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum verbunden ist.
In den beiden Jahren 2019 und 2020 war ein Arbeitnehmer an insgesamt 110 Tagen krankgeschrieben. Die Parteien stritten nun über Entgeltfortzahlung für 10 Arbeitstage im Zeitraum vom 18.08.2020 bis 23.09.2020. Der Arbeitgeber leistete keine Fortzahlung des Lohns mehr, da es sich seiner Ansicht nach um Fortsetzungserkrankungen handeln müsse. Für diese sei der Zeitraum für eine Lohnfortzahlung überschritten. Der Arbeitnehmer verlangte für insgesamt zehn Tage die Fortzahlung seines Lohns und legte als Nachweis der neuen Erkrankungen die Diagnose-Codes (ICD 10) vor.
Das BAG wies die Klage ab. Zwar müsse der Arbeitnehmer zunächst nur seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, um Entgeltfortzahlung zu erhalten. Bestreitet der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, dann muss der Arbeitnehmer aber bezogen auf den gesamten maßgeblichen Jahreszeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben, und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Erst dann sei dem Arbeitgeber substantiierter Sachvortrag möglich und erst dann könne der Arbeitgeber gegebenenfalls durch Sachverständigenbeweis nachweisen, dass eine Fortsetzungserkrankung vorlag und keine Entgeltfortzahlung zu leisten ist.
Das BAG stellte interessanterweise auch fest, dass die Auskunft der Krankenversicherung hierzu nicht ausreiche. Es verweist ausdrücklich darauf, dass die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden könnten. Wird die Entgeltfortzahlung abgelehnt, müssen sie Krankengeld zahlen. Vor diesem Hintergrund habe die Mitteilung der Krankenkasse keinen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert.
Außerdem weist das BAG ausdrücklich darauf hin, dass allein Diagnoseschlüssel keine ausreichende Informationsgrundlage seien, weil eine Fortsetzungserkrankung nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild vorliegt, sondern auch, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen. Es sind also umfassendere Auskünfte notwendig.