Die aktualisierten Hinweise des BMG zur Entschädigungspflicht aus arbeitsrechtlicher Sicht

Corona

Mit unserem gestrigen Sonderrundschreiben hatten wir Sie über die aktualisierten Antworten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf die häufigsten Fragen zur Entschädigungsregelung in § 56 IfSG informiert. Das BMG hat diese nun zur neuen Entschädigungsregelung betreuungspflichtiger Eltern und zur Berechnung des Verdienstausfalles ergänzt. Offen bleiben die Fragen eines Neubeginns der Anspruchsdauer und des richtigen Rechtsweges zur Durchsetzung der Vorleistungspflicht.

Die FAQ können Sie hier herunterladen.

a) Entschädigungsanspruch betreuungspflichtiger Eltern, § 56 Abs. 1a IfSG

Anlässlich der neuen Entschädigungsregelung in § 56 Abs. 1a IfSG stellt das BMG klar, dass unter den Begriff der „Einrichtungen zur Betreuung von Kindern“ neben Kindertagesstätten auch Tagesmütter und andere Einrichtungen in Vereinsform, die die Betreuung übernehmen, fallen. Der Entschädigungsanspruch setzt voraus, dass die Betreuung auch in Anspruch genommen worden wäre.

Die neue Entschädigungsregelung soll auch in Konstellationen des Distanzlernens im Rahmen der häuslichen Umgebung oder bei Hybridunterricht greifen. Gleiches gilt für Fälle einer schrittweisen Öffnung der Betreuungseinrichtungen.

(Not-) Betreuungsangebote

Eltern haben auch dann einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1a IfSG, wenn Betreuungsangebote innerhalb der Schul- bzw. Kita-Ferien (Hortbetreuung während der Ferien, „betreute Grundschule“ und Ähnliches) ausfallen und somit während der Ferien ein ungeplanter Betreuungsbedarf entsteht. Diese Einrichtungen sind in den Ferien nicht im Sinne des § 56 Abs. 1a S. 3 IfSG geschlossen. Ein Entschädigungsanspruch setzt voraus, dass die Betreuung innerhalb der Ferien auch in Anspruch genommen worden wäre.

Wird ein Betreuungsangebot aufgrund der Zugehörigkeit des Kindes oder eines Elternteils zu einer Risikogruppe abgelehnt, besteht kein Anspruch nach § 56 Abs. 1a IfSG.

Urlaub zur Sicherstellung der Kinderbetreuung

Ob und in welchem Umfang Arbeitnehmer Erholungsurlaub von sich aus in Anspruch nehmen müssen, ist eine Frage der Zumutbarkeit. So dürfte es in der Regel zumutbar sein, den Urlaub aus dem Vorjahr zur Sicherstellung der Kinderbetreuung während der Schließung einzusetzen. Auch bereits vorab verplanter Urlaub, der sowieso während des Zeitraums der Schließung in Anspruch genommen werden sollte, muss verbraucht werden. Arbeitnehmer können demgegenüber nicht verpflichtet werden, ihren gesamten Jahresurlaub für das laufende Kalenderjahr in Anspruch zu nehmen, bevor sie den Entschädigungsanspruch geltend machen können.

Kein Verdienstausfall bei Kinderbetreuung im Homeoffice

Erwerbstätige müssen eine angebotene und ihnen zumutbare Möglichkeit des ortsflexiblen Arbeitens (z. B. Home-Office) nutzen und ihre Kinder selbst betreuen. Der Beurteilung der Zumutbarkeit ortsflexiblen Arbeitens liegt eine zweistufige Beurteilung zugrunde: In einem ersten Schritt sind die tarif- bzw. arbeitsvertraglichen und betrieblichen Regelungen zu beachten sowie die aktuellen betrieblichen Möglichkeiten des ortsflexiblen Arbeitens. Regelmäßig wird es hier um die allgemeine Möglichkeit des mobilen Arbeitens gehen (z.B. ausreichend geeignete Tätigkeiten, keine Anwesenheit im Betrieb erforderlich). Wenn nach diesem ersten Schritt die Beschäftigung im Homeoffice möglich ist, stellt sich die zweite Frage, ob im Homeoffice eine zumutbare Betreuung oder Pflege möglich ist. Dies ist im Einzelfall zu bewerten.

Verhältnis Kurzarbeitergeld und § 56 Abs. 1a IfSG

Zu einem Konkurrenzverhältnis zwischen Kurzarbeitergeld und dem Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1a IfSG kann es kommen, wenn zunächst Kurzarbeit angeordnet wird und anschließend die Betreuungseinrichtung oder Einrichtung für Menschen mit Behinderungen schließt. Kurzarbeit „Null“ schließt einen Anspruch nach § 56 Abs. 1a IfSG aus, weil Eltern ohnehin einen vollständigen Arbeitsausfall haben. Bei sonstiger Kurzarbeit kann eine Pflichtenkollision nur insoweit entstehen, wie die Eltern weiterhin arbeiten müssen bzw. ein Elternteil weiterhin arbeiten muss. Insoweit kann ein Entschädigungsanspruch bestehen.

Einzelfälle mit Auslandsbezug

Nach dem BMG kommt ein Entschädigungsanspruch nur bei Schließungen von den jeweiligen Einrichtungen mit Sitz in Deutschland aufgrund des Infektionsschutzgesetzes durch die nach Landesrecht zuständigen Behörden in Betracht.

Das Verhältnis zu § 616 BGB bzw. § 19 BBiG

Das BMG definiert die kurzzeitige Verhinderung im Sinne des § 616 BGB nicht, da es auf die Umstände des Einzelfalles ankommt. Im Regelfall dürften laut BMG wahrscheinlich jedenfalls 5 Tage als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit anzusehen sein.

Hat ein Auszubildender betreuungspflichtige Kinder und wird die Einrichtung/Schule aufgrund einer behördlichen Anordnung geschlossen, liegt nach dem BMG ein in der Person des Auszubildenden liegender Hinderungsgrund vor. Der Auszubildende hat dann auf Grundlage des § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) BBiG für die Dauer von sechs Wochen einen Anspruch auf seine Ausbildungsvergütung.

Bewertung

Sofern § 616 BGB nicht ohnehin vertraglich abbedungen wurde, halten wir dessen Voraussetzungen für nicht erfüllt. Da die Kinder zur Verhinderung einer weiteren Verbreitung der Corona-Pandemie vom Kita- bzw. Schulbetrieb ausgeschlossen werden, fehlt es aus unserer Sicht an einem persönlichen Leistungshindernis. Der Pandemiefall beschreibt eine allgemeine Gefahrenlage und steht als objektives Leistungshindernis der Annahme einer persönlichen Verhinderung im Sinne von § 616 BGB entgegen. Gleiches gilt für § 19 BBiG.

 

b) Neubeginn der Anspruchsdauer

Das BMG geht wohl davon aus, dass der zweite Lockdown keinen Neubeginn der Anspruchsdauer auslöst und verweist in diesem Kontext auf die Gesetzesbegründung in BT-Drucksache 19/19601, S. 34. Dort führt der Gesetzgeber aus, dass auch über mehrere Schließungen hinweg der Anspruch nur insgesamt höchstens bis zu zehn bzw. zwanzig Wochen geltend gemacht werden kann (bis zum 31. März 2021).

Bewertung

Der Wortlaut des § 56 Abs. 2 S. 4 IfSG lässt offen, wann es zu einem Neubeginn des Anspruchs kommen kann. Aus unserer Sicht ist es gut vertretbar, dass der „zweite Lockdown“ einen Neubeginn der Anspruchsdauer auslöst. Andernfalls würde die Entschädigungsregelung vor dem Hintergrund, dass der Anspruch vielfach in Folge des „ersten Lockdowns“ bereits aufgebraucht sein dürfte, ins Leere laufen. Die vom BMG angeführte Gesetzesbegründung steht diesem Verständnis nicht entgegen. Der Gesetzgeber bezieht sich auf mehrere Schließungen. Diese können auch innerhalb eines „ersten Lockdowns“ nötig sein und können nicht mit „mehreren Lockdowns“ gleichgesetzt werden.

Wir empfehlen an dieser Stelle, vorab Kontakt mit der zuständigen Behörde aufzunehmen und verbindliche Auskünfte zur konkreten Handhabung einzuholen, ehe man als Arbeitgeber in Vorleistung tritt.

 

c) Rechtsweg zur Durchsetzung der Vorleistungspflicht

Treten die Arbeitgeber nach Maßgabe des § 56 Abs. 5 S. 1 IfSG in Vorleistung, sind sie nach dem BMG mangels Hoheitsrechte keine Beliehenen. Sie erbringen die Vorleistung „als solche“ und nicht als eine aus dem Arbeitsverhältnis herrührende Leistung.

Bewertung

Auch wenn der Begriff nicht explizit genannt wird, geht das BMG wohl davon aus, dass die Arbeitgeber als Verwaltungshelfer für den Staat tätig sind. Nach dieser Auffassung käme dann im Falle einer Weigerung der Vorleistung ein Amtshaftungsanspruch in Betracht. Für Klagen wären die Landgerichte ausschließlich sachlich zuständig, § 74 Abs. 2 Nr. 2 GVG (Anwaltszwang).

Gegen diese Sichtweise spricht, dass die Arbeitgeber keinen Weisungen der Gesundheitsbehörden unterliegen. Ihr Verhalten kann dem Staat nicht zugerechnet werden. Verwaltungshelfer zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine untergeordnete Hilfstätigkeit vornehmen und insoweit den Weisungen der Verwaltung unterworfen sind, dass sie gleich einem Werkzeug der öffentlichen Verwaltung bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben tätig werden, vgl. BGHZ 48, 98, 103. Dies trifft auf die vorleistungspflichtigen Arbeitgeber nicht zu. Es findet allenfalls ein kommunikativer Austausch mit der zuständigen Behörde statt.

Wir halten daher die Arbeitsgerichtsbarkeit für den richtigen Rechtsweg. Zahlt der Arbeitgeber die Entschädigung nicht aus, kann der Arbeitnehmer vor den Arbeitsgerichten auf Auszahlung klagen (Leistungsklage ohne Anwaltszwang).

 

d) Berechnung des Verdienstausfalles, § 56 Abs. 3 S. IfSG

Das BMG stellt klar, dass das Entgeltausfallprinzip bei der Berechnung des Verdienstausfalles gilt. Danach ist das konkret in einem bestimmten Monat entgangene Arbeitsentgelt Bemessungsgröße. § 56 Abs. 3 S. 1 IfSG legt den Schluss nahe, dass bei Arbeitnehmern möglichst das konkret entgehende Arbeitsentgelt ersetzt werden soll. Es darf grundsätzlich nicht pauschaliert auf ein Referenzeinkommen vor Beginn des Beschäftigungshindernisses (so genanntes Referenzprinzip) abgestellt werden.