Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. Dezember 2022, 2 AZR 162/22
Die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet nicht die Vermutung, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) die Kündigung nicht hätte verhindern können.
Die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Mitarbeiterin war seit Januar 1999 bei dem beklagten Versicherungsunternehmen beschäftigt und in der Zeit von Dezember 2014 bis Mai 2020 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 fand auf Initiative der Mitarbeiterin ein Präventionsgespräch statt, an dem auch Mitarbeiter des Integrationsamts teilnahmen.
Am selben Tag lud der Arbeitgeber die Mitarbeiterin zu einem BEM ein. Die Mitarbeiterin teilte mit, die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht unterzeichnen zu wollen. Der Arbeitgeber führte daher das BEM nicht durch, da er dieses ohne unterzeichnete Datenschutzerklärung als nicht durchführbar ansah.
Der Arbeitgeber beantragte am 10. Dezember 2019 beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Mitarbeiterin, die mit Bescheid vom 18. Mai 2020 erteilt wurde. Der Arbeitgeber hat gemeint, die Kündigung sei aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Die lang andauernde Erkrankung verbunden mit einer Stellungnahme der behandelnden Ärztin vom 4. März 2020 begründe die negative Prognose, dass es sich um eine dauerhafte gesundheitliche Einschränkung handele. Das Arbeitsverhältnis habe seit Jahren nur noch als sinnentleerte Hülle bestanden. Es sei nicht damit zu rechnen, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern werde, weshalb ein Festhalten hieran unzumutbar sei. Der Mitarbeiterin könne kein ihrem Gesundheitszustand entsprechender Arbeitsplatz zugewiesen werden. Zu dessen Ausgestaltung habe sie sich auch im Verfahren vor dem Integrationsamt nicht eingelassen. Darüber hinaus stehe die fehlende Bereitschaft der Klägerin, die datenschutzrechtliche Einwilligung zu unterzeichnen, einer fehlenden Zustimmung zur Durchführung eines BEM gleich.
Gegen die sodann ausgesprochene Kündigung klagte die Mitarbeiterin. Die Mitarbeiterin war der Ansicht, die Kündigung sei mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Eine negative Zukunftsprognose habe nicht vorgelegen und vielmehr haben mildere Mittel wie der Einsatz der Klägerin in einem Einzelbüro oder durch Bereitstellung von Noise-cancelling-Headsets bestanden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung stattgegeben. Das BAG hat entschieden, dass die auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt sei, da der Arbeitgeber nicht dargelegt hat, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden. Da der Arbeitgeber für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung die Darlegungs- und Beweislast trägt, muss er auch im Fall, dass er zur Durchführung eines BEM verpflichtet ist, nachweisen, dass auch ein BEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Grundsätzlich spreche der Umstand, dass ein Arbeitnehmer nicht zur Durchführung des BEM bereit ist, dagegen, dass durch ein BEM mildere Mittel als die Kündigung hätten identifiziert werden können. Allerdings habe die Beklagte die Einleitung des BEM nicht davon abhängig machen dürfen, dass die Klägerin die von der Beklagten vorformulierte Datenschutzerklärung über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen sowie Gesundheitsdaten unterzeichnet. § 167 Abs. 2 SGB IX sehe die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung seiner im Rahmen eines BEM erhobenen personenbezogenen und Gesundheitsdaten nicht als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung eines BEM vor. Hiernach seien die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter lediglich auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Die vorherige Unterzeichnung einer Einwilligung in die Verarbeitung der Daten sieht § 167 Abs. 2 SGB IX nicht vor.
Das BAG kommt zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiterin das BEM nicht abgelehnt habe, sondern vielmehr ausdrücklich ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einem BEM erklärt habe. Vielmehr sei die Durchführung des BEM von Seiten des Arbeitgebers von der Unterzeichnung der Datenschutzerklärung abhängig gemacht worden. Es sei ihm hingegen auch ohne die verlangte Einwilligung möglich und zumutbar gewesen, zunächst mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen. Erst im weiteren Verlauf des BEM-Prozesses wären dann die in Betracht kommenden Möglichkeiten zu erörtern gewesen, um die Fehlzeiten der Mitarbeiterin zu reduzieren. In diesem Zusammenhang sei dann von den Parteien darüber zu befinden gewesen, ob und ggf. welche Angaben über den Gesundheitszustand hierfür erforderlich sind. Nur wenn die Mitarbeiterin nicht bereit gewesen wäre, an dem weiteren Klärungsprozess mitzuwirken, hätte der Arbeitgeber zur Verfahrensbeendigung berechtigt sein können. In einem solchen Fall sei der Abbruch des BEM „kündigungsneutral“.
Daran habe auch der Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes vom 18. Mai 2020 nichts geändert, da er keine Vermutung dafür begründe, dass ein BEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können. Noch in der Vergangenheit hat der Senat mit Entscheidung vom 7. Dezember 2006 (2 AZR 182/06) angenommen, dass nach einer Zustimmung des Integrationsamtes nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden könne, dass ein Präventionsverfahren die Kündigung hätte verhindern können. Für diese Rechtsauffassung finde sich schon im Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX jedoch keine Stütze.