LAG Niedersachsen, Urteil vom 31. Mai 2024 (14 Sa 618/23)
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat sich mal wieder mit dem Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung befasst. In dem entschiedenen Fall hatte der 50-jährige Außendienstmitarbeiter zunächst eine Kündigung seines Arbeitgebers zum 31. März 2023 erhalten, gegen die er sich erfolgreich wehrte. Daraufhin nahm er seine Arbeit wieder auf. Der Geschäftsführer wies den Kläger daraufhin an, eine Präsentation zu erstellen, die sich mit seiner zukünftigen Tätigkeit auseinandersetzen sollte. Mit der vorgestellten Präsentation war der Geschäftsführer nicht einverstanden. Auf Nachfrage des Geschäftsführers, wann er mit einer Überarbeitung rechnen könne, gab der Kläger an, am nächsten Arbeitstag eine neue Präsentation vorstellen zu können. Der Kläger sprach weiterhin seinen geplanten Segelurlaub Anfang Juni 2023 an, bei dem zwischen den Parteien streitig ist, ob er bereits genehmigt war oder nicht. Der Geschäftsführer lehnte den Urlaubswunsch des Klägers ab.
Am nächsten Arbeitstag meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank und legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Eine Folgebescheinigung attestierte seine Arbeitsunfähigkeit bis 31. Mai 2023. Die auf den Bescheinigungen angegebenen unterschiedlichen ICD-Codes wurden in das Verfahren eingeführt.
Mit Schreiben vom 26. Mai 2023 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis selbst außerordentlich zum 31. Mai 2023. In der Erklärung gab er Differenzen im Zusammenhang mit der Urlaubsgewährung als Grund für die Kündigung an. Zu seiner Erkrankung gab der Kläger gab an, durch die mehrmonatige Belastungssituation des vorangegangenen Kündigungsschutzprozesses an Schlaflosigkeit, Durchfall, Bauchschmerzen und Sehnenentzündung im Arm gelitten zu haben. Am 03. Juni 2023 trat er den für den abgelehnten Urlaubszeitraum geplanten Segelurlaub an. Mit der Klage macht der Kläger unter anderem die Bruttomonatsvergütung für den Monat Mai 2023 geltend.
Das LAG Niedersachsen sah nur den Entgeltfortzahlungsanspruch für den Feiertag am 1. Mai 2023 als gerechtfertigt an und änderte insoweit das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise ab, das dem Kläger Entgeltfortzahlung für den gesamten Mai zugesprochen hatte.
In der Begründung führte das Gericht an, die zeitliche Koinzidenz der Erkrankung mit der Kritik des Chefs und der Urlaubsablehnung ließen erhebliche Zweifel an einer tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit begründeten, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern würden. Auch die unverändert attestierte Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bis zum Tag der Eigenkündigung, gefolgt vom Segelurlaub trotz angeblich erheblicher Erkrankungen, trägen dazu bei.
Zudem verstießen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gegen die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie. So fehle in der ersten Bescheinigung trotz Attestierung über 7 Tage eine konkrete Diagnose (Verstoß gegen § 5 Abs. 1 S. 5 AU-Richtlinie). Die Folgebescheinigung sei entgegen § 5 Abs. 4 S. 1 AU-Richtlinie für mehr als 14 Tage ausgestellt. Auch passten die ICD-Codes nicht zu den geschilderten Beschwerden.
Der Kläger hätte daher substantiiert darlegen müssen, wann welche Symptome mit welcher Intensität auftraten und zur Arbeitsunfähigkeit führten. Auch zu einer Therapie der Beschwerden habe er keine ausreichenden Darlegungen gemacht.
Das Urteil steht in Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung des BAG, das ebenfalls die Erschütterung des Beweiswerts einer AU-Bescheinigung durch eine Gesamtwürdigung der Umstände bejaht, mit der Folge, dass der Kläger zum Bestehen der Arbeitsunfähigkeit qualifizierte Angaben vorzutragen hat.