EuGH-Vorlageverfahren zu unterschiedlich hohen tariflichen Zuschlägen für unregelmäßige und regelmäßige Nachtarbeit

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts (BAG) jetzt entschieden, dass Nachtarbeitszuschläge nicht in den Anwendungsbereich der europäischen Arbeitszeitrichtlinie fallen.

Im entschiedenen Fall leisteten die Kläger Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit. Sie erhielten einen Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit. Der einschlägige Manteltarifvertrag (MTV) sah für regel- mäßige Nachtarbeit einen Vergütungszuschlag in Höhe von 20 % pro Stunde vor, für unregelmäßige Nachtarbeit hingegen einen Vergütungszuschlag in Höhe von 50 %. Die Kläger waren der Meinung, dies stelle eine Ungleichbehandlung dar, die gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne von Artikel 3 des Grundgesetzes und Artikel 20 der Charta der EU verstoße. Die Beklagte führte aus, der höhere Vergütungszuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit sei u. a. dadurch gerechtfertigt, dass diese typischerweise Mehrarbeit bedeute. Zudem solle er nicht nur die Erschwernis dieser Art von Arbeit ausgleichen, sondern den Arbeitgeber auch davon abhalten, durch Anordnung von Nachtarbeit spontan in die Freizeit und das Sozialleben seiner Arbeitnehmer einzugreifen. Die Arbeitsgerichte wiesen die Klagen ab, das LAG gab ihnen teilweise statt.

Das BAG setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  1. Wird mit einer tarifvertraglichen Regelung die Richtlinie 2003/88 im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta durchgeführt, wenn die tarifvertragliche Regelung für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit?
  2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird: Ist eine tarifvertragliche Regelung mit Art. 20 der Charta vereinbar, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, wenn damit neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Nachtarbeit auch Belastungen wegen der schlechteren Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen?

Der EuGH hat jetzt in seinem Urteil vom 7. Juli 2022 (Az. C-257/21 und C-258/21) entschieden, dass der im MTV vorgesehene Vergütungszuschlag der Arbeitnehmer für die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Nachtarbeit nicht unter die Richtlinie 2003/88 fällt und damit nicht als Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta angesehen werden kann. Die Richtlinie beschränke sich darauf, bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, so dass sie grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer finde.

Der EuGH weist darauf hin, dass Art. 153 AEUV, der die Rechtsgrundlage der Richtline bildet, gemäß seinem Abs. 5 nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht gelte. Der Grund für diese Ausnahme liege darin, dass die Festsetzung des Lohn- und Gehaltsniveaus der Vertragsautonomie der Sozialpartner auf nationaler Ebene und der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet unterliege.

Zwar regelten Art. 8 bis 13 der Richtlinie 2003/88 die Nachtarbeit. Diese Bestimmungen beträfen jedoch nur Dauer und Rhythmus der Nachtarbeit, den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Nachtarbeiter. Sie regelten nicht das Entgelt der Arbeitnehmer für Nachtarbeit und erlegten den Mitgliedstaaten in Bezug auf die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalte keine spezifische Verpflichtung auf.

Der EuGH stellt außerdem fest, dass Art. 3 Abs. 1 des IAO-Übereinkommens über Nachtarbeit zwar vorsehe, dass besondere, durch die Art der Nachtarbeit gebotene Maßnahmen zugunsten der Arbeitnehmer zu treffen seien, einschließlich der Gewährung angemessener Entschädigungen. Die Norm bestimme, dass der Ausgleich für Nachtarbeiter in Form von Arbeitszeit, Entgelt oder ähnlichen Vergünstigungen der Natur der Nachtarbeit Rechnung zu tragen habe. Die Union habe das Übereinkommen jedoch nicht ratifiziert, sodass ihm in der Unionsrechtsordnung keine rechtliche Verbindlichkeit zukomme.