Kündigung nach Eingang einer Massenentlassungsanzeige

Aktuelle Rechtsprechung, Newsletter

Eine erforderliche Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG kann auch dann wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist. Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind daher – vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist.

In einem Urteil vom 13.06.2019 (6 AZR 459/18) hat sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Kündigung, die zwar nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige zugegangen ist aber bereits vor dem Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit unterzeichnet war, wirksam ist.

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:

Am 01.06.2017 war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Eine von ihm verfasste Massenentlassungsanzeige ging am 26.06.2017 zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur für Arbeit ein.

Mit Schreiben vom 26.06.2017 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ebenso wie die Arbeitsverhältnisse weiterer 44 zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigter Arbeitnehmer ordentlich zum 30.09.2017. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 27.06.2017 zu. Daraufhin machte der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage unter anderem geltend, dass nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes der Arbeitgeber seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen habe. Darum dürfe die Unterschrift unter das Kündigungsschreiben, mit der die Kündigungserklärung konstitutiv geschaffen werde, erst erfolgen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei. Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte, hat das Landesarbeitsgericht der Berufung des Klägers stattgegeben. Es war der Ansicht, die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe, was sich in der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiere.

Auf die Revision des Beklagten hob das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.

Das BAG merkt an, dass die nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige auch dann wirksam erstattet werden kann, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist. Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind daher – vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist. So stelle das in § 17 Abs. 1 Sätze 2-5 KSchG geregelte Anzeigeverfahren eine beschäftigungspolitische Regelung dar. Die Agentur für Arbeit soll rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Dies setze voraus, dass bereits feststehe, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung könne, solle und wolle die Agentur für Arbeit keinen Einfluss nehmen. Das BAG führt aus, dass die Kündigungen allerdings erst dann erfolgen, also den Arbeitnehmern zugehen dürfen, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Dies sei durch die EuGH-Rechtsprechung zu Artikel 3 und Artikel 4 der Massenentlassungsrichtlinie geklärt.

Allerdings konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilt werden. Das Landesarbeitsgericht muss in Folge dessen im weiteren Verfahren aufklären, ob die Massenentlassungsanzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügt und ob das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde.

Ergänzend sei erwähnt, dass auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in einem Urteil vom 09.05.2019 (18 Sa 1449/18) entschieden hat, dass durch den Arbeitgeber eine Kündigung vor der Massenentlassungsanzeige unterzeichnet werden dürfe. Diese Kündigung dürfe dann allerdings dem Arbeitnehmer erst nach der Erstattung der Massenentlassungsanzeige zugehen.