BAG, Beschluss vom 11.10.2022, 1 ABR 18/21
Hat der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer ohne Beteiligung des Betriebsrats eingestellt oder versetzt, kann er ein rechtzeitiges – und damit insoweit ordnungsgemäßes – Zustimmungsersuchen nach § 99 Abs. 1 BetrVG nur dann an den Betriebsrat richten, wenn er die personelle Einzelmaßnahme zuvor aufgehoben hat.
Hierfür genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat lediglich nachträglich mitteilt, er nehme die personelle Einzelmaßnahme „zurück“ und führe sie nunmehr nur noch „vorläufig“ durch. Erforderlich ist vielmehr, dass der Einsatz des betroffenen Arbeitnehmers – zumindest vorübergehend bis zur Einleitung eines etwaigen neuen Beteiligungsverfahrens nach § 99 Abs. 1, § 100 Abs. 2 BetrVG – tatsächlich unterbleibt.
In dem Beschlussverfahren vor dem BAG (1 ABR 18/21) stritten die Beteiligten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zu einer personellen Einzelmaßnahme.
Im Rahmen einer Umgestaltung ihrer Betriebsorganisation wies die Arbeitgeberin dem bisherigen Leiter der Abteilung Zielgruppenintelligenz – Herrn N – ab dem 25. Mai 2018 die Position des Leiters der von ihr neu eingerichteten Abteilung Quality Services Dialogmarketing zu. Den Betriebsrat beteiligte sie zuvor nicht. Auf dessen Antrag gab das Arbeitsgericht der Arbeitgeberin durch Beschluss vom 13. Juni 2019 auf, die Maßnahme aufzuheben. Gegen diesen Beschluss legte die Arbeitgeberin Beschwerde ein. Am 10. Januar 2020 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, sie nehme die Versetzung von Herrn N zurück. Daraufhin erklärten die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Das Verfahren wurde eingestellt.
Ebenfalls am 10. Januar 2020 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat, der beabsichtigten erneuten Versetzung von Herrn N auf die Stelle des Leiters der Abteilung Quality Services Dialogmarketing zuzustimmen. Zudem teilte sie dem Betriebsrat mit, dass sie diese Versetzung vorläufig durchführen werde.
Mit Schreiben vom 14. Januar 2020 verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung.
Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, die Zustimmung des Betriebsrats sei gerichtlich zu ersetzen. Das Zustimmungsgesuch vom 10. Januar 2020 beziehe sich auf eine andere personelle Maßnahme als die im Mai 2018 durchgeführte Versetzung von Herrn N.
Das BAG hat am 11.10.2022 entschieden, dass der Antrag der Arbeitgeberin auf Zustimmungsersetzung erfolglos bleibt. Die Arbeitgeberin habe das Zustimmungsverfahren am 10. Januar 2020 nicht ordnungsgemäß eingeleitet. Voraussetzung für die gerichtliche Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG sei eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber. Die Unterrichtung durch die Arbeitgeberin und ihr Gesuch auf Erteilung der Zustimmung durch den Betriebsrat vom 10. Januar 2020 seien nicht „vor“ der Versetzung von Herrn N auf die Stelle des Abteilungsleiters Quality Services Dialogmarketing und damit nicht ordnungsgemäß erfolgt.
Die Arbeitgeberin habe die Versetzung von Herrn N – ohne Beteiligung des Betriebsrats – bereits zum 25. Mai 2018 endgültig durchgeführt. Seit dieser Zeit sei Herr N ununterbrochen auf der ihm zugewiesenen Stelle eines Leiters der Abteilung Quality Services Dialogmarketing eingesetzt. Die bloße Mitteilung der Arbeitgeberin, sie nehme die Versetzung „zurück“ und diese erfolge ab sofort nur noch „vorläufig“, bedeute entgegen ihrer Ansicht nicht, dass sie dadurch eine „neue“ Versetzung von Herrn N geplant hätte, für die ein Zustimmungsverfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß hätte eingeleitet werden können. Es sei stets erforderlich, dass der Arbeitgeber von seiner ursprünglichen Maßnahme Abstand genommen und eine neue – eigenständige – Einstellung oder Versetzung eingeleitet hat. Erfolgt eine Versetzung ohne Beteiligung des Betriebsrats, könne der Arbeitgeber von der bereits durchgeführten personellen Einzelmaßnahme nur Abstand nehmen, indem er die Maßnahme tatsächlich aufhebt.