BAG, Urteil vom 22.02.2023, 10 AZR 332/20
Eine tarifvertragliche Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit höhere Zuschläge vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn neben dem Gesundheitsschutz weitere, aus dem Tarifvertrag erkennbare Zwecke verfolgt werden. Ein solcher Zweck kann in dem Ausgleich der zusätzlichen Belastungen aufgrund schlechterer Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit liegen.
Die Klägerin dieses Verfahrens war Mitarbeiterin eines Unternehmens der Getränkeindustrie. Auf das Arbeitsverhältnis fand ein Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung, der einen Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit von 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit von 50 % vorsah. Die Klägerin verrichtete von Dezember 2018 bis Juni 2019 regelmäßige Nachtarbeit im tarifvertraglichen Sinn, für die sie den tariflichen Zuschlag von 20 % erhielt. Die Klägerin meint, die unterschiedlichen Nachtarbeitszuschläge im Manteltarifvertrag verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Sie hat Klage erhoben und macht den höheren Zuschlag von 50 % für die geleistete Nachtarbeit geltend. Im Revisionsverfahren vor dem BAG hat der 10. Senat die Sache zunächst dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt und um eine Vorabentscheidung gebeten. Der EuGH hat diese Frage am 07.07.2022 beantwortet (C-257/21 und C-258/21) und die Sache zurück an das BAG verwiesen. Die EU-Charta, auf die sich zwei Kläger beriefen, finde in dieser Auseinandersetzung keine Anwendung, so der Gerichtshof. Damit sei der Fall keine Frage des Europäischen Rechts. Nun musste das BAG über eine mögliche Ungleichbehandlung entscheiden.
Mit Urteil vom 22.02.2023 hat das BAG die Ansprüche der Klägerin nun insgesamt für unbegründet erklärt. Die Klägerin kann von der Beklagten keine weiteren Nachtarbeitszuschläge für den streitgegenständlichen Zeitraum verlangen.
Die im MTV enthaltene Differenzierung zwischen den Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die unterschiedliche Behandlung ist sachlich gerechtfertigt. Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit anzunehmen. Allein der Zweck des Gesundheitsschutzes vermag die Ungleichbehandlung hier zwar noch nicht rechtfertigen. Den Tarifvertragsparteien steht es aber im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie frei, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Ein solcher liegt hier vor. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien soll mit dem höheren Zuschlag auch die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Dies hat die Auslegung der tariflichen Regelungen durch den 10. Senat ergeben. Die Regelung benennt zwar nicht ausdrücklich, welchem Zweck die höheren Zuschläge für unregelmäßige Nachtarbeit dienen. Durch die Gegenüberstellung des Begriffspaares „regelmäßig“ und „unregelmäßig“ im Zusammenhang mit der Nachtarbeit lässt sich der damit verbundene weitere Zweck aber aus der Tarifnorm erkennen.