Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist kann gerechtfertigt sein, wenn eine negative Gesundheitsprognose vorliegt, dass aufgrund der Erkrankung die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen werden und infolge der gebotenen Interessenabwägung die Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss.
In einem Urteil vom 24.07.2019 (15 Sa 2498/18) hat sich das Landesarbeitsgericht Berlin mit der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist wegen einer vorliegenden Alkoholerkrankung auseinandergesetzt. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:
Die klagende Arbeitnehmerin ist bei der Beklagten als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Sie ist nach den Bestimmungen des Schwerbehindertenrechts gleichgestellt. Die Klägerin ist alkoholabhängig. In den letzten 4,15 Kalenderjahren fehlte sie an insgesamt 983 Tagen krankheitsbedingt. In dieser Zeit führte die Klägerin einige Entwöhnungsversuche durch, die sie entweder frühzeitig abbrach oder nach denen sie bald wieder rückfällig wurde. Die auf Basis einer „Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe“ (GBV Sucht) geplanten Gespräche fanden größtenteils nicht statt, da die Klägerin entweder nicht erschien oder kurzfristig absagte. Einige Monate vor der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Beklagten, der zwei Abmahnungen vorangegangen waren, lieferte der Sohn der Klägerin diese wegen Alkoholmissbrauchs in eine Klinik ein. Dabei war die Klägerin in den letzten 4,15 Jahren vor ihrer Kündigung insgesamt 16 Mal stationär in ein Krankenhaus aufgenommen worden.
Auf die seitens der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage gab das Arbeitsgericht der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht merkt an, dass die Kündigung nach § 626 BGB wirksam sei. Eine außerordentliche Kündigung wegen Krankheit könne nach ständiger Rechtsprechung auch im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt sein. Eine solche komme beispielsweise dann in Betracht, wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarung ausgeschlossen ist. Allerdings müsste dann zugunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden.
Das LAG merkt noch einmal an, dass die Wirksamkeit einer Kündigung auf drei Stufen zu prüfen ist. So müsse auf der ersten Stufe zunächst die negative Zukunftsprognose dargelegt werden, wobei vergangene Erkrankungen indizielle Bedeutung haben. Im Rahmen der zweiten Stufe müssen sodann die prognostizierten Fehlzeiten geeignet sein, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Dies sei dann der Fall, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Zu guter Letzt sei auf der dritten Stufe zu prüfen, ob die Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gerechtfertigt im Sinne des § 626 BGB sei. Dabei führt das Landesarbeitsgericht aus, dass die dargelegten Fehlzeiten prognosefähig seien, da die Klägerin nicht geltend gemacht habe, dass ihre Krankheit ausgeheilt sei oder eine Therapie begonnen habe, bei der nunmehr davon auszugehen sei, dass die Alkoholsucht nicht mehr auftreten werde. Darüber hinaus bestehe weiterhin eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Bei einem Umfang von 10 % der möglichen Arbeitstage mit absteigender Tendenz sei das Arbeitsverhältnis sinnentleert und es sei völlig unvorhersehbar, wann die Klägerin eine Arbeitsleistung erbringen könne.
Auch die Interessenabwägung sei zu Lasten der Klägerin vorzunehmen. Hier sei zwar zugunsten der Klägerin vor allem ihr hohes Lebensalter, die lange Betriebszugehörigkeit, die Gleichstellung mit den Schwerbehinderten und die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere als Alkoholikerin, zu berücksichtigen. Demgegenüber sei jedoch das Interesse der Beklagten als höher einzuschätzen, jedenfalls ein sinnvolles Arbeitsverhältnis durchführen zu können. Es könne ihr daher nicht zugemutet werden, bis zum Renteneintritt der Arbeitnehmerin ein Arbeitsverhältnis fortzusetzen, von dem sie praktisch nichts habe. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin insgesamt die Möglichkeit hatte, mit mehreren Entwöhnungsmaßnahmen ihre Alkoholsucht zu bekämpfen. Künftig sei zudem eher mit größeren Schwierigkeiten, als mit einer abnehmenden Tendenz zu rechnen.