LAG Hamm, Urteil vom 10.03.2022, 18 Sa 1449/21
Enthält weder der Arbeitsvertrag noch die angegriffene Kündigung einen Hinweis auf die Klagefrist nach § 4 KSchG, so lässt sich die Unwirksamkeit der Kündigung nicht auf eine „Vorwirkung“ der Arbeitsbedingungen-Richtlinie (2019/1152/EU) oder auf eine richtlinienkonforme Auslegung bzw. Rechtsfortbildung der §§ 623, 125 S. 1 BGB stützen.
Die Klägerin war im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage schriftlicher Arbeitsverträge bei dem beklagten Verein als Übungsleiterin beschäftigt. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis schriftlich und fristgemäß zum 28.02.2021. Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingereichten Kündigungsschutzklage gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam, da sie nicht den Erfordernissen der RL 2019/1152/EU vom 20.06.2019, der sog. Arbeitsbedingungen-Richtlinie entspreche. Hiernach hätte ihrer Ansicht nach auf die Klagefrist gem. § 4 KSchG hingewiesen werden müssen, was unstreitig nicht erfolgt war.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG Hamm hat diese Entscheidung nun bestätigt und die Kündigung ohne den Hinweis auf die Klagefrist für wirksam erklärt. Die Kündigung sei nicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gem. § 125 Satz 1 BGB i.V.m. § 623 BGB unwirksam. Die formellen Anforderungen an die Kündigung nach deutschem Recht seien gewahrt. § 623 BGB sei nicht im Wege richtlinienbezogener Auslegung oder Rechtsfortbildung dahin zu verstehen, dass eine Kündigung, die keine Information über die Klagefrist aus § 4 KSchG enthält, nicht im Einklang mit der Arbeitsbedingungen-Richtlinie steht und deshalb nicht der gesetzlichen Schriftform entspricht.
Richtlinien entfalteten keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatrechtssubjekten sondern verpflichteten lediglich die Mitgliedsstaaten, den Inhalt der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Grundsätzlich seien die Gerichte nur dann verpflichtet, das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen oder fortzubilden, wenn die Umsetzung nicht fristgemäß erfolgt ist. Im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen-Richtlinie sei die Frist aber noch nicht abgelaufen gewesen.
Da es auch nicht um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs gehe, bestehe zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt keine Veranlassung zu einer richtlinienbezogenen Auslegung oder Fortbildung des § 623 BGB. Auch aus dem Frustrationsverbot folge nichts anderes. Dieses sei allein dann verletzt, wenn eine Abweichung zu irreversiblen Zuständen im Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist führe. Die von der Klägerin gewünschte richtlinienbezogene Umgestaltung des § 623 BGB sei zudem als unzulässige Rechtsfortbildung anzusehen, die gegen das in Deutschland geltende Prinzip der Gewaltenteilung verstoße.
Aus dem Inhalt der Arbeitsbedingungen-Richtlinie folge nicht zwingend, dass der Arbeitgeber auf die dreiwöchige Klagefrist hinweisen muss und dass ein unterlassener Hinweis zur Formunwirksamkeit der Kündigung führt. Es bleibe den Mitgliedsstaaten überlassen, welche Sanktionen sie bei Verstößen der Arbeitgebenden gegen die Informationspflichten vorsehen. Die Rechtsfolge einer Unwirksamkeit sei in der Richtlinie ausdrücklich nur für solche Kündigungen vorgesehen, die als Reaktion darauf erfolgen, dass der Arbeitnehmer die in der Richtlinie vorgesehenen Rechte in Anspruch nimmt.
Die Frage, ob es zu einer anderen Bewertung gekommen wäre, wenn die Klägerin die Klagefrist versäumt hätte, stelle sich im Streitfall nicht, da die Klägerin fristgemäß geklagt hat.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der richtlinienkonformen Auslegung oder Fortbildung des nationalen Rechts während des Laufs der Umsetzungsfrist einer Richtlinie stellen, seien durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt.
Zwischenzeitlich ist die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Obwohl nicht explizit gefordert, hat der deutsche Gesetzgeber auch die Verpflichtung zur Belehrung über die Klagefrist vorgesehen. Gemäß dem Gesetzestext ist aber explizit „§ 7 des Kündigungsschutzgesetzes (…) auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden“. Die Kündigung gilt hiernach nach Ablauf der Frist als wirksam. Hieraus kann geschlossen werden, dass das Versäumnis der Belehrung auch nach neuer Rechtslage gerade nicht die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Kündigung haben soll.